Rückabwicklung von Lebensversicherungen: Wenn Anwälte Vertrauen verspielen

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Warum bei der Rückabwicklung von Lebensversicherungen plötzlich nicht nur Versicherer, sondern auch Rechtsvertreter das Vertrauen verspielen können. Ein Finanzierungsberater blickt hinter die Kulissen eines Massenverfahrens, das zum Stillstand kam.

Finanzierungsberater stehen tagtäglich an der Seite von Verbrauchern, wenn es um tragfähige finanzielle Entscheidungen geht – gerade auch in sensiblen Bereichen wie Altersvorsorge oder Lebensversicherungen. Umso größer ist die Sorge, wenn beobachtet werden muss, dass selbst dort, wo der Gesetzgeber längst für Klarheit gesorgt hat, das Vertrauen der Verbraucher ins Wanken gerät – und zwar nicht etwa durch die Versicherer selbst, sondern durch die, die eigentlich helfen sollen: Rechtsanwälte.

Die Rückabwicklung von Lebensversicherungen war für viele Betroffene ein Hoffnungsschimmer – ein legitimer Weg, sich aus langfristig schädlichen Verträgen zu befreien, wenn formale Fehler oder fehlende Aufklärung nachweisbar sind. Doch was geschieht, wenn der beauftragte Anwalt nicht liefert? Wenn Rückfragen unbeantwortet bleiben, Zwischenstände ausbleiben – und womöglich Ansprüche schlicht verjähren, weil niemand gehandelt hat?

Der Fall Jörn Diercks aus Niedersachsen zeigt genau dieses Szenario: Über 2.600 Mandate, jahrelange Funkstille, und am Ende Mandanten, die sich fragen müssen, ob ihre berechtigten Ansprüche nicht nur gegen Versicherer, sondern auch gegen ihren eigenen Rechtsbeistand geltend gemacht werden müssen.

Für außenstehende Berater mit Nähe zum Verbraucher ergibt sich eine ernste juristische Frage: Wer haftet, wenn der Anwalt die Rückabwicklung nicht rechtzeitig betreibt? Und was bedeutet das für das ohnehin fragile Vertrauen in ein System, das eigentlich für Rechtssicherheit stehen soll?

Die Antwort auf diese Fragen ist nicht nur juristischer Natur – sie betrifft das Selbstverständnis eines ganzen Berufsstandes. Denn wo Verantwortung übernommen wird, muss sie auch mit Leben gefüllt werden. Schweigen ist keine Option.

Ein Berufsstand im Zwielicht: Was, wenn Anwälte ihre Pflicht verkennen?

Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verpflichtet den Rechtsanwalt zur gewissenhaften, zügigen Bearbeitung eines angenommenen Mandats. Die § 6 BORA betont: „Der Rechtsanwalt ist seinem Auftraggeber zur Verschwiegenheit, Loyalität und Sorgfalt verpflichtet.“ Diese Grundpfeiler wurden im Fall Diercks ins Wanken gebracht. Statt strukturierter Prüfung der Versicherungsverträge und systematischer Geltendmachung von Ansprüchen auf Grundlage etablierter Rechtsprechung wurden offenbar Entschuldigungen formuliert: Man habe die Gutachter nicht beeinflussen können, die Verträge seien zu unsortiert, die Widerrufsrechte vielleicht verwirkt.

Doch das Bundesverfassungsgericht sowie der Bundesgerichtshof (BGH) haben über Jahre hinweg deutlich gemacht, dass Versicherungsnehmer ein Recht auf Rückabwicklung besitzen, wenn gravierende Belehrungsmängel, intransparente Kostenstrukturen oder systemische Benachteiligungen vorliegen. Besonders hervorzuheben ist das BGH-Urteil vom 07.05.2014 (Az. IV ZR 76/11), das das sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ bei fehlerhaften Belehrungen bekräftigte. Spätestens seit dem BGH-Urteil vom 29.04.2020 (Az. IV ZR 19/19) ist klargestellt, dass auch strukturelle Schwächen bei der Kalkulation und unzulängliche Beteiligungen an Überschussanteilen zur Rückabwicklung berechtigen können.

Die Verwirkungsfalle: Wenn Anwälte argumentieren wie Versicherungen

Berichtet wurde ein besonders kritischer Punkt: Rechtsanwalt Diercks führt die Verwirkung als Rückabwicklungshindernis ins Feld. Doch Verwirkung setzt voraus, dass der Betroffene sein Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht und beim anderen Vertrauen auf das Unterbleiben der Geltendmachung erzeugt hat. Doch wie soll dieses Vertrauen entstehen, wenn der Versicherungsnehmer von Anfang an keinen Einblick in die Benachteiligung hatte? Fachanwälte bestätigen: Intransparente Kostenstrukturen, verdeckte Risikoabschläge und nicht nachvollziehbare Gewinnverwendungen wurden den Versicherten über Jahre hinweg verschwiegen. Eine Berufung auf Verwirkung wäre daher nicht nur juristisch fragwürdig, sondern widerspricht auch dem Gedanken von Treu und Glauben – insbesondere, wenn der eigene Anwalt diese Argumente übernimmt, statt sie im Sinne seiner Mandanten zu entkräften.

Zahlen, die verpflichten – Rückabwicklung als juristische Chance und Verbraucherschutzpflicht

Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) existieren in Deutschland über 80 Millionen Lebens- und Rentenversicherungsverträge – eine gewaltige Zahl, die das wirtschaftliche und rechtliche Gewicht dieses Sektors unterstreicht. Millionen dieser Verträge stammen aus den Jahren 1994 bis 2007 – einer Zeit, in der viele Versicherungsunternehmen fehlerhafte Widerrufsbelehrungen und intransparente Kostenmodelle verwendeten. Dies wurde von der Rechtsprechung klar benannt, allen voran durch das wegweisende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07. Mai 2014 (Az. IV ZR 76/11). Darin wurde klargestellt, dass Versicherungsnehmer auch Jahre nach Vertragsabschluss ein „ewiges“ Widerspruchsrecht zustehen kann, wenn die Belehrung fehlerhaft war.

Was bedeutet das konkret? Fachanwälte berichten, dass bei korrekt aufbereiteten Rückabwicklungsverfahren in über 60 Prozent der Fälle eine erfolgreiche Geltendmachung der Ansprüche möglich ist – und das häufig ohne Gerichtsverfahren, also im Rahmen von außergerichtlichen Einigungen. In zahlreichen Fällen konnten Rückzahlungen erwirkt werden, die 30 Prozent bis 70 Prozent über dem zuvor ausgezahlten Rückkaufswert lagen. Diese Werte basieren auf nachvollziehbaren wirtschaftlichen Bewertungen, insbesondere unter Einbezug der tatsächlichen Ertragslage der Versicherer – eine Methode, die selbst von der BaFin und der aktuariellen Fachliteratur anerkannt wird.

Diese Zahlen sind mehr als beeindruckend – sie sind eine Mahnung. Denn wo solche Potenziale bestehen, entsteht auch Verantwortung: aufseiten der Anwälte und der Versicherer, aber auch des Gesetzgebers und der Gerichte. Mandanten dürfen erwarten, dass ihre rechtlichen Möglichkeiten nicht nur theoretisch bestehen, sondern auch praktisch durchgesetzt werden – mit Sorgfalt, mit Engagement und mit juristischer Präzision.

Gerade deshalb ist der Verbraucherschutz in diesen Fällen auf die konsequente Anwendung der Rechtsprechung angewiesen. Das BGH-Urteil vom 29. April 2020 (Az. IV ZR 19/19) unterstreicht nochmals, dass keine bestimmte Berechnungsmethode vorgeschrieben ist, solange die Ertragslage des Versicherers sachgerecht berücksichtigt wird. Das heißt: Es gibt keine Ausrede, den finanziellen Ausgleich nicht wenigstens zu versuchen – und erst recht keine für Untätigkeit.

Wenn Anwälte diese Verfahren übernehmen, ohne sie fachlich sauber zu strukturieren, ohne die juristische Linie der höchstrichterlichen Entscheidungen zu beachten und ohne den Dialog mit der Versicherung überhaupt aufzunehmen, dann wird nicht nur die Chance auf Rückzahlung verspielt. Es wird das Vertrauen in das Recht als Werkzeug zum Schutz der wirtschaftlich Schwächeren beschädigt. Genau darum braucht es die konsequente Anwendung höchstrichterlicher Urteile – nicht als abstrakte Rechtsposition, sondern als gelebten Verbraucherschutz. Jeder nicht bearbeitete Vertrag ist nicht nur eine verpasste Gelegenheit, sondern ein aktiver Schaden.

Wenn Transparenz fehlt, fehlt alles

Was aber bleibt, wenn ein Anwalt auf berechtigte Fragen seiner Mandanten nur mit Verweis auf die anwaltliche Verschwiegenheit reagiert? Wenn keine Zwischenergebnisse, keine Zwischenberichte, keine außergerichtlichen Einigungen dokumentiert werden? Dann entsteht nicht nur juristische Leere, sondern ein eklatanter Vertrauensbruch. Transparenz ist kein Gegensatz zur anwaltlichen Verschwiegenheit, sondern ihre Voraussetzung: nur wer den Mandanten informiert, stärkt seine Position. Wer schweigt, dem entgleitet die Kontrolle über das Mandatsverhältnis.

Ein „Was wäre wenn“ mit echten Folgen

Was wäre, wenn dieser Fall Schule machte? Wenn mehr Anwälte aus Überforderung, Inkompetenz oder finanziellen Motiven Mandate übernähmen, die sie nie bearbeiten würden? Es wäre nicht nur ein Angriff auf das Berufsbild des Rechtsanwalts, sondern auf das Fundament von Rechtsstaat und Verbraucherschutz. Es wäre die stillschweigende Verjährung von Gerechtigkeit. Auch Finanzexperten, die sich tagtäglich für die finanzielle Stabilität ihrer Kunden einsetzen, sehen sich dadurch in ihrer Arbeit erschüttert – denn wenn anwaltlicher Rückhalt fehlt, sind auch ihre Strategien für eine faire Vermögensplanung gefährdet.

Fazit: Vertrauen verpflichtet – juristisch, menschlich, zwingend

Die Rückabwicklung von Lebensversicherungen bleibt ein legitimer und juristisch etablierter Weg für Verbraucher, sich gegen systemische Benachteiligung zur Wehr zu setzen. Doch dieses Instrument wirkt nur, wenn Anwälte ihrer Verantwortung gerecht werden: transparent, sachkundig, engagiert. Wer diese Pflicht ignoriert, verrät nicht nur seine Mandanten, sondern auch die Idee der Rechtspflege selbst. Deshalb muss gelten: Vertrauen ist kein Vorschuss – es ist ein Anspruch. Und dieser ist einklagbar.

Auch Finanzexperten, die in engem Kontakt mit ihren Kunden stehen und diese oft über Jahre hinweg beraten, geraten in Mitleidenschaft, wenn rechtliche Unterstützung ausbleibt. Ihr Berufsethos basiert auf Verantwortung, Planungssicherheit und dem Vertrauen darauf, dass juristische Partner zuverlässig handeln. Wird dieses Vertrauen durch anwaltliches Fehlverhalten enttäuscht, droht nicht nur wirtschaftlicher Schaden für den Einzelnen, sondern auch ein tiefer Riss im Zusammenspiel zwischen Finanzberatung und Rechtsdurchsetzung – zum Nachteil aller Betroffenen.

Autor: Stefan Elstermann

Über den Autor:

Stefan Elstermann ist Finanzierungsberater und Unternehmer mit einem ausgeprägten Interesse an wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklungen. Nach einer Bankausbildung und einem BWL-Studium mit Schwerpunkt International Management gründete er das Unternehmen SE Finanzierung in Frankfurt am Main. Dort begleitet er Kunden bei komplexen Finanzierungsfragen und engagiert sich für zukunftsorientierte Projekte. Weitere Informationen unter: se-finanzierung.com

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