Unverschuldeter Schaden und Einbehaltung des Selbstbehalts durch Autovermieter

Unverschuldeter Schaden & Selbstbehalt – Was du wissen solltest - ABOWI Law

Ein Ärgernis, das viele Mietwagenkunden betrifft, ist die Einbehaltung des vertraglich vereinbarten Selbstbehalts durch den Autovermieter, auch wenn der Schaden unverschuldet entstanden ist. Die rechtliche Grundlage für diese Praxis und ihre Grenzen werden immer wieder vor Gericht diskutiert. Ein aktueller Fall des Amtsgerichts (AG) München (Urteil vom 29.04.2024, Az. 231 C 10607/24) verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen der Autovermieter keine Ansprüche geltend machen kann.

Ein anschauliches Beispiel

Herr M., ein Mietwagenkunde, leiht sich ein Fahrzeug, um geschäftliche Termine wahrzunehmen. Während einer Fahrt auf der Autobahn wird die Windschutzscheibe des Autos durch einen Steinschlag beschädigt. Der Schaden ist offensichtlich unverschuldet, da ein solcher Vorfall durch das Aufschleudern von Steinchen häufig vorkommt und vom Fahrer kaum zu vermeiden ist. Trotz der klaren Umstände belastet der Autovermieter Herrn M.’s Kreditkarte mit dem Selbstbehalt von 500 Euro und verweigert die Rückerstattung.

Die rechtliche Ausgangslage

Grundsätzlich regelt § 538 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), dass der Mieter für normale Abnutzung oder unvermeidbare Schäden nicht haftet. Der Vermieter kann diesen Grundsatz allerdings vertraglich modifizieren. Oft finden sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Autovermietern Klauseln, die eine Haftung des Mieters auch bei unverschuldeten Schäden vorsehen. Eine häufige Formulierung lautet beispielsweise: „Selbstbehalt pro Teil- und Vollkaskoschadensfall 500 Euro.“

Solche Klauseln unterliegen jedoch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB. Nach der Rechtsprechung sind sie unwirksam, wenn sie den Mieter unangemessen benachteiligen. Das AG München hat in seinem Urteil festgestellt, dass eine verschuldensunabhängige Haftung innerhalb der AGB nur dann wirksam ist, wenn ein Nachteilsausgleich zugunsten des Mieters oder ein überwiegendes Interesse des Vermieters nachgewiesen wird. Beides war in dem Fall von Herrn M. nicht gegeben.

Die Entscheidung des AG München

Das Gericht sprach Herrn M. einen Anspruch auf Rückzahlung des Selbstbehalts gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Es argumentierte, dass der Autovermieter durch die Einziehung des Betrags ohne Rechtsgrund bereichert sei. Es fehle an einem Schadensersatzanspruch aus § 535, § 280 Abs. 1 BGB, da Herr M. den Steinschlag nicht zu vertreten habe.

In seiner Begründung hob das Gericht hervor, dass solche Schäden häufig auftreten, ohne dass der Fahrer sie verhindern kann. Bereits das AG Aschaffenburg (Urteil vom 28.04.2008, DAR 2009, 535) hatte entschieden, dass Steinschlagschäden ein nicht beherrschbares Risiko darstellen. Ein weiteres Argument des AG München war die mangelnde Transparenz und die einseitige Belastung des Mieters durch die Vertragsklausel, was zur Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB führe.

Vertragliche Regelungen und AGB-Kontrolle

Vertraglich kann der Autovermieter von § 538 BGB abweichen, wenn dies individuell ausgehandelt wird. Bei einseitig vorgegebenen AGB unterliegt eine solche Regelung jedoch der strengen Kontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 1992, 3158) legt fest, dass eine Klausel unwirksam ist, wenn sie ohne hinreichenden Ausgleich für den Mieter eine verschuldensunabhängige Haftung begründet. Der BGH hat diese Argumentation auch in späteren Urteilen bestätigt (z. B. NJW 2002, 3234). Im vorliegenden Fall hatte der Autovermieter keinen besonderen Nachteilsausgleich für Herrn M. angeboten, was zur Unwirksamkeit der Klausel führte.

Das Risiko unverschuldeter Schäden

Das Risiko von Ereignissen wie Steinschlag ist unvermeidbar und betrifft sowohl Mieter als auch Vermieter gleichermaßen. Es ist daher nicht gerechtfertigt, dieses Risiko einseitig auf den Mieter zu übertragen, insbesondere wenn der Vermieter die Möglichkeit hat, solche Risiken durch Versicherungen abzusichern.

Praktische Konsequenzen

Mietwagenkunden sollten die AGB vor Vertragsabschluss sorgfältig prüfen und sich über die Bedingungen des Selbstbehalts informieren. Es empfiehlt sich, bei unklaren Regelungen den Vermieter direkt zu kontaktieren und gegebenenfalls auf eine klarere Regelung zu bestehen.

Falls ein unverschuldeter Schaden eintritt und der Autovermieter dennoch den Selbstbehalt einbehält, sollten Kunden umgehend juristischen Rat einholen. Die Rechtsprechung zeigt, dass Gerichte in solchen Fällen häufig zugunsten der Kunden entscheiden.

Die Einbehaltung des Selbstbehalts bei unverschuldeten Schäden ist somit nach aktueller Rechtsprechung unzulässig, wenn keine besonderen Gründe oder ein Nachteilsausgleich zugunsten des Mieters vorliegen. Die Klausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB und ist somit unwirksam. Mietwagenkunden haben daher gute Chancen, unrechtmäßig einbehaltene Beträge zurückzufordern.

Autor: Mgr. Valentin Schulte, Volkswirt B.Sc., stud. jur, 

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